Wie alles begann
1978
Die Firma MAN und die bundesweit größte Berufsschule für Hörbehinderte, das Rheinisch-Westfälische Berufskolleg Essen (RWB Essen), unternehmen erste Bemühungen, um Berufsabschlussprüfungen für Hörbehinderte in barrierearmer Sprache anzubieten.
Grund: Hörbehinderung führt nicht nur zu mangelnder Lautsprach-Kompetenz, sondern aufgrund mangelnder Sprach-Erfahrung auch zu eingeschränkten Leistungen im Bereich Schriftsprache. Die Folge: Die schriftlichen Prüfungsaufgaben am Ende der Berufsausbildung werden von vielen hörbehinderten Auszubildenden nur schwer oder gar nicht verstanden. Die Prüfungsleistungen der Auszubildenden (auch der fachlich guten) sind schlecht, weil sie die Sprache der Prüfungsaufgaben nicht verstehen.
1983
Zusammenarbeit von MAN, Berufsschule (RWB Essen), IHK Essen und Handwerkskammer Düsseldorf sowie Landwirtschaftskammer Rheinland (heute LWK NRW): erste textoptimierte Prüfungen werden vor den jeweiligen Prüfungsterminen fertig gestellt und sind dann zur Prüfung einsetzbar.
1987
Die „Forschungsstelle für angewandte Sprachwissenschaft zur Rehabilitation Behinderter", FST, damals an der PH Heidelberg angesiedelt, wird als wissenschaftliche Begleitung einbezogen und übernimmt die sprachwissenschaftliche Betreuung der Prüfungsoptimierung. Erste Forschungsprojekte.
1990–1995
Projekt „Sonderformulierte Prüfungstexte, SPT“, beantragt vom RWB Essen und von der FST Heidelberg und finanziert vom Bundesarbeitsministerium.
Sprachwissenschaftliche und inhaltliche Detail-Arbeit.
Der Geldgeber (Bund) strebt von Anfang an eine bundesweite Verfügbarkeit der Aufgaben an. Widerstände bei den lokalen Prüfungsinstitutionen (unbegründete Befürchtung: „einfacherer Aufgabentext = einfachere Aufgabe“) und einigen prüfungsaufgabenerstellenden Institutionen. Der Versuch, eine Regelfinanzierung der Prüfungsoptimierung zu installieren, scheitert an mangelndem Interesse auf höherer Ebene und an der Rechtslage im Behindertenbereich, die auf das einzelne Individuum ausgerichtet ist, während die Textoptimierung von Prüfungsaufgaben überindividuell organisiert ist.
1995–2004
Im Projekt „Textoptimierte Prüfungsaufgaben, TOP“, weiterhin finanziert von der Bundesregierung, wird die Arbeit fortgeführt. 1998 Umzug der FST nach Halle, hier nun als „Forschungsstelle zur Rehabilitation von Menschen mit kommunikativer Behinderung“ an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg unter Leitung von Prof. Dr. Christa Schlenker-Schulte. 2004 haben über 1.000 Auszubildende ihre Abschlussprüfung mit textoptimierten Aufgaben absolviert. Die TOP-Datenbank zählt über 20.000 textoptimierte Aufgaben.
Die Finanzierungs- und Rechtslage der Prüfungsoptimierungsprojekte bleibt weiterhin unsicher, obwohl sich die Rechtslage mit der Einführung des SGB IX, der Gleichstellungsgesetze und spezifischer Barrierefreiheitsgesetze deutlich verbessert hat.
2004–heute
Projekt „Prüfungsmodifikation durch Textoptimierung, PMT“, weiterhin finanziert von der Bundesregierung, führt die Arbeit fort.
In einer Studie im Rahmen des Projekts wird die Wirksamkeit der Textoptimierung wissenschaftlich nachgewiesen (20 % weniger Lesezeit bei allen VersuchsteilnehmerInnen, signifikant weniger Fehler vor allem bei TeilnehmerInnen mit geringerer Sprachkompetenz).
Ende 2010: Fast 2.000 Auszubildende sind in den Genuss textoptimierter Prüfungen gekommen, die TOP-Datenbank umfasst knapp 45.000 Aufgaben. Etwa 30 % der TOP-Prüfungen entstehen mit einer eigens entwickelten Software, mit der man textoptimierte Prüfungen auf Knopfdruck erstellen kann. Dabei kommen die Aufgaben aus der TOP-Datenbank zum Einsatz.
TOP-Prüfungen werden nicht nur an die IHK Essen, die HWK Düsseldorf und die LWK NRW geliefert, sondern auch nach Berlin (IHK), Potsdam (HWK, IHK), Flensburg (IHK) und nach Rheinhessen-Mainz (HWK). Darüber hinaus bietet seit 2010 der Zentralfachausschuss Druck und Medien (ZFA) für hör-sprach-behinderte Auszubildende zentral textoptimierte Versionen der Prüfungen für Buchbinder/innen, Drucker/innen und Mediengestalter/innen an.
Die gesetzlichen Regelungen beginnen, Wirkung zu zeigen, das Interesse an textoptimierten Prüfungen wächst – auch im Regelbereich und außerhalb der beruflichen Bildung. Trotzdem kann bis heute eine zentrale Finanzierung eines TOP-Büros nicht erreicht werden.
2011
Im März 2011 gründen Dr. Susanne Wagner und Dipl.-Inf. Ulrich Peinhardt die IFTO GmbH, um die 20-jährige Entwicklungsarbeit zu sichern und weiterhin TOP-Prüfungen anbieten zu können. Für die Prüflinge des RWB Essen wird eine Finanzierungslösung über den LVR erprobt. Auch in anderen Regionen und Institutionen wird darum gerungen, weiterhin TOP-Prüfungen anbieten zu können.